Sammlungen Freilichtmuseum Finsterau
Aus Scherben auferstanden
Hinterglasbild aus Raimundsreut
Als um 1900 schöne, farbenprächtige Drucke billig zu kaufen waren, hat fast jeder die alten Hinterglasbilder von ihrem Platz in der Stube entfernt und in irgendeinen Dachboden oder eine Rumpelkammer geräumt.
Nach dem Tod der letzten Bäuerin wurde auf dem Petzi-Hof offenbar gekramt, regelrecht gehaust. Vielleicht hatte das Hinterglasbild schon einen Sprung gehabt und wurde deshalb als wertlos angesehen und zur Seite geworfen.
Der nächste, der sich noch eine wertvolle Entdeckung im Nachlass erhoffte, ist darauf gestiegen und hat das seltene Bild ganz zertreten.
Viele Jahre später (1983) wurde der Hof mit allen Gebäuden und dem gesamten Inventar vom Freilichtmuseum Finsterau erworben. Bei den Inventarisierungsarbeiten kamen in einem Haufen von Unrat die stark verschmutzten Scherben zum Vorschein.
Zwei Volkskundlerinnen haben Scherbe für Scherbe aus dem Staub herausgesucht und einzeln in Seidenpapier eingeschlagen Das Hinterglasbild war in 25 Scherben zerbrochen, vier größere und eine Anzahl kleinere. Eine Restauratorin hat nun die Scherben gereinigt, die Farben gefestigt und das Bild wieder zusammengesetzt, fehlende Scherben wurden durch neutrales Glas ersetzt, ein mit Pastellfarben beigefasster Hintergrundkarton gleicht die Fehlstellen der Malerei aus. Wiedererstanden ist ein Kreuzweg, dargestellt in 15 Stationen.
Die Aufteilung der Stationen in diesem Hinterglasbild ist folgendermaßen vorgenommen worden: Drei Bildstreifen sind jeweils in fünf Felder gegliedert, die mit römischen Zahlen durchnummeriert sind. Zu lesen ist das Bild mit der linken unteren Ecke beginnend, dann schlangenförmig fortlaufend bis zur rechten oberen Ecke.
Gezeigt ist die Leidensgeschichte Jesu:
I. Jesus wird zum Tod verurteilt
II. Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern
III. Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz
IV. Jesus begegnet seiner Mutter
V. Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen
VI. Veronika reicht Jesus das Schweißtuch
VII. Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz
VIII. Jesus tröstet die weinenden Frauen
IX. Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz
X. Jesus wird seiner Kleider beraubt
XI. Jesus wird an das Kreuz geschlagen
XII. Jesus am Kreuz
XIII. Der tote Jesus in den Armen seiner Mutter
XIV. Der Leichnam Jesu im Grab
XV. Kaiserin Helena findet das wahre Kreuz Christi
Das Bild ist dem Hinterglasmalerort Raimundsreut im Bayerischen Wald zuzuschreiben. Zeitlich ist es im dritten Viertel des 18. Jahrhunderts einzuordnen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Größe des Hinterglasbildes. Es hat die außergewöhnlichen Maße 38,4 x 49,2 cm. Die Glasscheibe ist mundgeblasen, was an den Schlieren und Unebenheiten des Glases erkennbar ist. Sie hat eine Stärke von zwei Millimetern, auf der die Malerei in Leim- oder Kaseinfarben aufgetragen ist.
Inv.-Nr.: F 1985/001
TEXT: Martin Ortmeier | FOTOS: Archiv Freilichtmuseum Finsterau